Bei 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung erweist sich Gluten als Problem-Protein. Die bekannteste glutenbedingte Krankheit ist die Zöliakie, eine Mischung aus Allergie und Autoimmunerkrankung. Ähnlich weit verbreitet ist die Weizenallergie, die durch Gluten und ähnliche Peptide ausgelöst wird. Hinzu kommt die Weizensensitivität. Gemäss der Universität Hohenheim ist noch nicht klar, wodurch diese ausgelöst wird und ob Gluten auch in diesem Fall eine Rolle spielt.
Zöliakiepatienten reagieren auf Gluten mit schweren Darmstörungen und müssen glutenhaltige Produkte vermeiden. Bereits ein Achtel Gramm Weizenmehl reicht aus, um die Reaktion auszulösen. Also ist sogar Küchenhygiene enorm wichtig. Glutenfreie Produkte sind jedoch nicht nur wegen der kleinen Zahl dieser Diätetiker auf dem Vormarsch, sondern wegen vielen weiteren Konsumenten mit Reizdarm-Symptomen, die Weizenbrote ohne medizinische Diagnose ablehnen, indem sie aus persönlichen Erfahrungen eine Unverträglichkeit ableiten. Dies betrachtet Ernährungsexpertin Stephanie Baumgartner als kontraproduktiv: «Es gibt keine Beweise dafür, dass eine glutenfreie Diät signifikante Vorteile für die Allgemeinbevölkerung hat. Tatsächlich gibt es aber Hinweise, dass eine solche bei Personen ohne Zöliakie oder Glutensensitivität den gegenteiligen Effekt auf die Darmgesundheit hat.»
Nicht Gluten ist das Problem
Gluten ist also für Gesunde völlig unproblematisch, und darauf zu verzichten, nicht zu empfehlen, denn glutenfreie Brote enthalten im Vergleich zu glutenhaltigen Varianten meist mehr Kalorien durch höhere Fett- und Zuckergehalte. Zudem sind sie teuer.
Und eine Ernährung ohne Weizen – oder mehr noch, eine unnötigerweise komplett glutenfreie Ernährung – führt oft zu reduzierter Aufnahme von Vollkornprodukten, was ernährungsphysiologisch nicht sinnvoll ist. Dass Personen mit Reizdarm sich besser fühlen, wenn sie statt Weizenbroten glutenfreie oder solche aus alten Getreidesorten konsumieren, basiert oft auf einem Irrtum: Nicht das Gluten schadet diesen Personen, sondern die FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole). FODMAPs kommen in allen Getreidesorten vor und gelangen, wenn sie nicht ausreichend abgebaut werden, unverdaut in den Dickdarm, wo sie Beschwerden auslösen können.
Teigruhe von 4,5 Stunden
Forscher haben gemäss der Bäckereifachschule Richemont herausgefunden, dass «nicht die Art des Getreides ausschlaggebend ist, sondern die Dauer der Teigruhe. Nach 4,5 Stunden sind praktisch alle FODMAPs abgebaut. Auch ein Weizenbrot kann für Betroffene gut verdaulich sein, sofern der Teig 4,5 Stunden ruhen durfte». Nach 60 Minuten Teigruhe sind die FODMAP-Gehalte am höchsten. Eine Teigruhe von 4,5 Stunden ergibt eine Reduzierung um 90 Prozent.
Nach einer Studie der Universität Hohenheim können Teigruhezeiten von mindestens 2 Stunden Weizengebäck auch für empfindliche Personen bekömmlicher machen. Bereits dann würden sich die FODMAP-Anteile im Brot um bis zu 75 Prozent reduzieren. Nach 25 Stunden seien die Werte kaum geringer. Denn bei einer verlängerten Teigführung muss die Aktivität der Hefe reduziert werden, damit das zum Backen wichtige Getreideeiweiss nicht zu sehr geschädigt wird. Dazu wird die Hefemenge reduziert und der Teig gekühlt. Mit einer geringeren Hefeaktivität sinkt aber auch der Abbau der FODMAPKohlenhydrate.
In den Studienbroten waren im Durchschnitt 0,22 g FODMAP pro 100 Gramm Brot nachweisbar. Im Vergleich zu Fruchtsäften und Früchten ist das sehr wenig. «Es ist somit fraglich, ob eine FODMAP-Konzentration in Broten mit diesen niedrigen Werten medizinisch eine Auswirkung hat», sagt Ernährungsmediziner Prof. Dr. Bischoff. Für gesunde Menschen haben diese Kohlenhydrate sogar einen positiven Effekt. Sie wirken als Ballaststoffe, und Fruktan ist wichtig für die Darmflora. FODMAPs sind also nicht ungesund, werden aber schlecht absorbiert. Sie sind auch nicht die Ursache von Reizdarm, aber es hilft dabei, sie zu vermeiden. Doch nur Personen mit Reizdarm sollten dies tun.
Comeback des Slow Baking
Auch Getreidesorten haben Einfluss auf die FODMAP-Gehalte. Teige aus Emmer und Dinkel enthalten geringere Mengen als solche aus Brotweizen. Häufig sind es kleine, traditionell arbeitende Bäckereien, die Produkte aus Urgetreide herstellen und die Teige länger ruhen lassen. Grossbäckereien dagegen backen ihre Teiglinge meist bereits nach einer Stunde Gehzeit, wenn die meisten FODMAPs im Teig enthalten sind. Dies spricht für «Slow Baking» mit langer Gärzeit, was einige Bäckereien in letzter Zeit aus Kostengründen vernachlässigten, aber nun wieder praktizieren. Das Fachmagazin folgert: Solche Brote sind für FODMAP-Empfindliche deswegen bekömmlicher, weil die Teige länger gärten, und nicht, weil sie aus Urgetreide hergestellt wurden. Es wäre also hilfreich, wenn die Bäckereien die Gärzeit jeder Brotsorte deklarieren würden.
Gemäss der Universität Hohenheim unterscheiden sich die Weizenarten Einkorn, Emmer, Dinkel sowie Hart- und Weichweizen deutlich in der Menge ihrer potenziell allergenen Proteine. Weichweizen (Brotweizen) und Dinkel weisen in etwa die gleiche Gesamthäufigkeit an Allergenen auf. Im Vergleich dazu sind diese bei Hartweizen (Teigwarenweizen) und Emmer circa um das Zweifache und beim Einkorn um das 5,4-fache reduziert.
 
					