Die Schweiz musste mit viel Glück seit langer Zeit keinen Krieg im eigenen Land mehr erleben. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen haben jedoch die Diskussion um die Wehrfähigkeit neu lanciert. Viel Erfahrung verfügt das Alpenland Schweiz dafür im Katastrophenschutz, sowohl bezüglich Vorsorge als auch rascher Hilfe im Notfall. Die sogenannten Extremereignisse, bedingt durch die Klimaerhitzung, nehmen mittlerweile messbar zu. Allein in den letzten Monaten haben heftige Unwetter in verschiedenen Berggebieten zu gesperrten Strassen, Stromausfällen und von der Aussenwelt abgeschnittenen und teilweise existentiell bedrohten Dörfern geführt. Diese aktuellen Extremereignisse zeigen: Die Schweiz bewährt sich im Umgang mit Krisen und Katastrophen. Die Schweizer Tradition, ein Zusammenspiel aus den öffentlichen Blaulichtorganisationen, dem klassischen Schweizer Milizsystem aus Feuerwehr, Armee, Zivilschutz, bewährt sich nach wie vor. Zudem steht ein Netz aus lokalen privaten Unternehmen mit dem entsprechenden Fachwissen zur Verfügung.
So viel Normalität wie möglich erhalten!
Der Blick auf die ukrainische Realität bestätigt eindrücklich: Die Resilienz in der Aufrechterhaltung der öffentlichen Grund- und Notversorgung ist ebenso wichtig wie die militärische Verteidigung im engeren Sinn.
Trotz der seit mehr als drei Jahren (in einigen Oblasten seit 11 Jahren) regelmässigen russischen Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung funktioniert die Infrastruktur und die Grundversorgung ist in weiten Teilen stabil. Durchaus vergleichbar mit der Schweiz sorgt ein Netzwerk öffentlicher Notfalldienste und zivilgesellschaftlicher Hilfsnetzwerke für die Aufrechterhaltung der Not- und Grundversorgung. Eindrücklich ist zudem der stark verbreitete Willen zum Wiederaufbau und zur Wiedergewinnung von so viel Normalität wie möglich. Butcha, der infolge der russischen Massaker traurig bekannt gewordenen Vorort von Kyiv, präsentiert sich heute bereits wieder aufgebaut.
In den internationalen Schlagzeilen oft wenig beachtet: Das Wirtschaftsleben funktioniert ausserhalb der eigentlichen militärischen Front erstaunlich stabil. Als wesentlicher Erfolgsfaktor wirkt eine Mischung aus öffentlicher Infrastrukturplanung und viel zivilgesellschaftlicher und unternehmerischer Kreativität. Die Versorgung mit Notstrom-Aggregaten ist beispielsweise mittlerweile weit verbreitet. Dies stellt neben der zentralen medizinischen Versorgung auch die ebenso existentielle Lebensmittelversorgung sicher; nicht zuletzt der Kühlketten. Zunehmend kommen nun neben den klassischen Dieselgeneratoren zeitgemässe bis zu containergrosse elektrische Speicher zum Einsatz.
Eine wichtige Rolle kommt den ukrainischen Staatsbahnen Ukrzaliznytsia zu. Diese übernahmen insbesondere im Februar und März 2022 eine tragende Rolle für die ukrainische Durchhaltefähigkeit, von den lebensrettenden Massen-Evakuationen über die humanitäre Hilfe bis zur Versorgung mit existentiell notwendigen Gütern aller Art. Die Einsatzteams der Staatsbahnen stehen seit Jahren im Dauereinsatz, neben der humanitären Rettung auch zur Instandhaltung und Reparatur der Infrastruktur.
Ukraine – Brotkorb trotz allem!
Selbstverständlich leiden viele Wirtschaftszweige unter der Kriegssituation, nicht zuletzt bedingt durch den Mangel an verfügbaren Fachkräften. Dies betrifft auch den für die Ukraine zentralen Agro-Food-Sektor. Im Gegensatz zu anderen kriegsbetroffenen Ländern bestehen dank der selbst jetzt sehr leistungsfähigen ukrainischen Ernährungswirtschaft kaum Probleme für die heimische Versorgung.
Vielmehr ist das Produktions- und Exportvolumen in vielen Bereichen wieder auf das Vorkriegsniveau gestiegen. Laut offiziellen ukrainischen Quellen hängt die Ernährung von insgesamt mehreren Hundert Millionen Menschen direkt von ukrainischen Getreidelieferungen ab. Die klassische Exportroute über den Schwarzmeer-Seeweg funktioniert mittlerweile neben regelmässigen Luftangriffen wieder einigermassen ungestört, da die russische Marine westlich der Krim verdrängt (bzw. versenkt) wurde. Massiv ausgebaut wurden in den letzten drei Jahren die Logistik-Routen über den Schienenweg Richtung baltische und polnische Häfen und den Donau-Flusstransport.
Nothilfe – Global vernetzt, lokal verankert
Trotz allem ist der Bedarf an unmittelbarer Nothilfe nach wie vor gross. Im ganzen Land ist ein vielfältiges Netzwerk entstanden, unterstützt durch international engagierte Organisationen. Sehr viel Erfahrung im Bereich der Lebensmittel-Notversorgung verfügt die global engagierte Organisation «World Central Kitchen» (WCK), sie leistet weltweit Soforthilfe in Kriegs- und Krisengebieten. In der Ukraine trafen die professionellen Hilfsteams auf eine grundsätzlich gut funktionierende Grundversorgung. Hilfe war jedoch vor allem angesichts grosser Evakuationen zu Beginn des Angriffskriegs notwendig. An einem 24-Stunden-Fussgänger-Grenzübergang in Südpolen begann WCK bereits wenige Stunden nach der Invasion mit der Ausgabe von warmen, nahrhaften Mahlzeiten.
Seit der Eskalation des Krieges im Jahr 2022 setzt WCK in der Ukraine auf ein flexibles, gemeindegeführtes Modell. Die Arbeit in einem aktiven Kriegsgebiet bringe ständige Veränderungen mit sich, betonen die WCK-Verantwortlichen. Sicherheit bleibe immer ein Thema. Routen schliessen sich beispielsweise und neue Bedürfnisse tauchen auf.
Starke lokale Partnerschaften erwiesen sich auf menschlicher Ebene, aber auch aus Logistik- und Sicherheitsgründen als Schlüsselfaktor. Kooperationen mit Partnern und Unternehmen, darunter Restaurants, Bäckereien, Freiwillige und Lieferanten, ermöglichen es, Lebensmittel im ganzen Land zuzubereiten und zu liefern. Mittlerweile werden als saisonale Selbsthilfe-Projekte zudem Saatgutpakete zur Unterstützung der Lebensmittelproduktion in den Haushalten verteilt. Mit dem Aufbau von Gemeinschaftsküchen in Unterkünften erhielten vertriebene Familien die Infrastruktur, um wieder selbst kochen können. Würde, Vertrautheit und menschliche Beziehungen sind von grosser Bedeutung.
Bake for Ukraine – Schweizer Mobilbäckereien im Einsatz
Aus Schweizer Sicht verdient als eine der vielen Kooperationen die Initiative «Bake for Ukraine» besondere Aufmerksamkeit, denn hier kommen die ehemaligen mobilen Armee-Bäckereien zum Einsatz. Fach-Offizier Walter Kuchen hatte diese einst für Kriegs- und Krisensituationen entwickelt. Nach der Abschaffung der Bäckereitruppen hat Walter Kuchen selber einige davon im Rahmen eines Hilfsprojekts in die Ukraine verschenkt. Jetzt werden einige der autonom betreibbaren Bäckereien wieder eingesetzt, um bei Stromausfällen ihre Aufgaben zu erfüllen und Brot in Städte und Dörfer mit bedrohter oder zerstörter Infrastruktur zu liefern.
Insgesamt trägt «Bake for Ukraine» dazu bei, die lokale Lebensmittelversorgung zu sichern, indem lokale Bäckereien und Landwirte vor allem in den Städten, die am stärksten vom Krieg betroffen sind, unterstützt werden. Derzeit werden Bäckereien in Kyiv, Butcha, Cherson, Odesa und Charkiw unterstützt.
Ukraine – Zusammenarbeit mit dem Schweizer Privatsektor
Die offizielle Schweizer Wiederaufbau-Förderung hat Massnahmen entwickelt, um das Engagement des Schweizer Privatsektors zu stärken. Die Bevölkerung der Ukraine soll vom Fachwissen und den innovativen, hochwertigen Produkten aus der Schweiz profitieren. Im Herbst 2025 startet bereits der vierte Lehrgang des «CAS Rebuild Ukraine», lanciert von Schweizer Hochschulen in enger Kooperation mit ukrainischen Partnerorganisationen. Das Angebot richtet sich in erster Linie an ukrainische Frauen mit professionellem Hintergrund in der Bau- und Infrastruktur-Branche, die derzeit kriegsbedingt in der Schweiz leben.
Im Fokus der entwickelten Studienprojekte stehen beispielsweise Kindergärten, Schulen, Renovierungen und Krankenhäuser. Mittlerweile ist daraus ein nachhaltiges Netzwerk entstanden, in dem sich ukrainisches und Schweizer Know-how ergänzen. Als gemeinsame Plattform dient das «Swiss Ukraine Sustainable Technology»-Transferprojekt (SUST).
Osterkuchen – gebacken mit Weizen von entminten Feldern
Kunstvoll verzierte Osterkuchen bilden ein wichtiges Element bei ukrainischen Osterfeiern. Vor diesem Hintergrund fand vor Ostern 2025 in Kyiv als Teil des Projekts «Soul of Soil 2.0» ein Meisterkurs für das Backen von Osterkuchen statt. Dazu eingeladen hatten die erste stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin der Ukraine, Yulia Svyrydenko, und der berühmte ukrainische Kochs Jewhen Klopotenko. Das Mehl für diese Osterkuchen wurde in Mykolaiv aus Weizen gemahlen, der auf den befreiten und entminten Feldern in den Regionen Cherson und Mykolaiv angebaut worden war. «Die Ukraine ist heute das am stärksten von Minen verseuchte Land der Welt – 139 000 km² sind potenziell vermint. Mit dieser Initiative wollen wir den wahren Preis des ukrainischen Brotes aufzeigen», so Yulia Svyrydenko. Neben dem Meisterkurs stellten die Organisatoren einen Osterkorb zusammen, der aus selbst gebackenem Osterkuchen, einem von der Mutter des gefallenen Sanitäters Iryna Tsybukh bemalten Osterei und einem von Grossmüttern aus der Region Sumy (Mitglieder des Projekts Moim.Ridnym) bestickten Handtuch mit Weidenzweigen bestand.
